Freitag, 4. November 2011

Mal was Religioeses: Warum manch Argentinier mehr als nur eine Leiche im Keller hat. Bestattungskultur in Argentinien

Der November hat in meinem Kulturkreis den inoffiziellen Beinamen „Totenmonat“. Allein schon wegen der beiden Feste Allerheiligen und Allerseelen, die wir am Monatsanfang begehen. Bei uns in Bayern ist es alter Brauch, am 1. November das Grab/die Graeber unserer Verstorbener aufzusuchen, kurz inne zu halten und ihrer zu gedenken.

In Argentinien kennt man derartige Braeuche nicht. Allerheiligen und Allerseelen sind ganz normale Arbeitstage und ginge man nicht in den Gottesdienst, man wuerde diese Tage einfach „ueber-leben“.

Ich moechte diese Tage zum Anlass nehmen und einen kleinen Bericht ueber die Begraebnisgepflogen-heiten hier in Buenos Aires praesentieren.

Wie ihr vielleicht schon wisst, ist Mittwoch mein freier Tag, den ich bis auf weiteres im Zentrum der Stadt verbringe.
Die Stadt Buenos Aires besteht aus vielen Stadtvierteln, die ihren je eigenen Charm haben. Vor ein paar Wochen war ich in Recoleta, dem Viertel der stinkreichen Argentiner. Eine, wenn nicht sogar DIE touristische Attraktion ist der Friedhof, der Cementario de la Recoleta.

Der Cementario de la Recoleta ist die Negropole der Reichen. Staatspraesidenten, Seehelden und Angehoerige der Oberschicht ruhen hier so praechtig wie sie einst lebten. Knapp 7000 Mausoleen, nicht wenige von namhaften Kuenstlern geschaffen, stehen dicht an dicht auf einem ca. 5,5 ha grossen Areal. Etwa 4700 Gruften soll es hier geben.

Eine davon gehoert der ehemaligen Grossgrundbesitzerfamilie Duarte. In ihr liegt auch eine (uneheliche) Tochter begraben: María Eva Duarte Ibarguren, besser bekannt als Evita Perón.

Ruhestaette von Evita Perón (* 07.05.1919; + 26.07.1952).
Ihr Leben hat als Aschenputtel in der Provinz begonnen. Anfang des Jahres 1944 lernt sie Juan Domingo Perón kennen und weicht von da an nicht mehr von seiner Seite. Perón ist zu diesem Zeitpunkt schon ein „gemachter Mann“. 1945 wird er schliesslich Staatspraesident und Evita die primera dama des Landes. Ihr soziales Engagement, besonders gegenueber den descamisados, den „Hemdlosen“, verschafft ihr eine vorher nie gekannte Popularitaet. Noch heute, ueber ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod, gilt sie als „Heilige der Hemdlosen“. Nicht zu vergessen ihr Engagement fuer die Rechte der Frauen!

Doch Evita hat auch Feinde. Die Oberschicht hasst sie, denn sie – diese uneheliche Landpomeranze – hat Argentinien einen arbeiterfreundlichen, sozial eingestellten Praesidenten beschert. So manch einer wird ihren krebsbedingten Tod 1952 gefeiert haben.

Evitas Leichnam wird zunaechst einbalsamiert und ausgestellt (wie Lenin in Moskau!). 
Schriftzug ueber dem Eingang
Dann geht er auf eine skurrile Reise um die halbe Welt, uebrigens auch in die Argentinische Botschaft (damals noch in Bonn). Ihre Reise dauert 16 Jahre, fast viermal laenger als ihr oeffentliches Leben als Gattin Peróns.
Zwischendurch wird der Sarg gekidnappt, auf einem Friedhof in Mailand zwischengelagert und von einem Friedhofswaechter im eigenen Haus versteckt, der darueber aus Versehen seine Ehefrau erschossen haben soll. Schliesslich wird Evita unter falschen Namen (in Mailand) beerdigt. 1971 taucht Evitas Leichnam wieder auf und ruht heute, durch Panzerstahlplatten vor Raubgrabungen geschuetzt, im besagten Familiengrab der Duarte auf dem Recoleta-Friedhof im feinen Norden von Buenos Aires, Planquadrat 3 B.

Da solche Gruefte nicht nur fuer eine Person, sondern fuer eine ganze Familie bestimmt sind, braucht man natuerlich dementsprechend Platz. Das bedeutet, dass es im wahrsten Sinne nach unten geht - sozusagen in den Keller. Auf dem folgenden Bild habe ich zwei besonders geeignete Beispiele ausgesucht.

Zwei besondere Beispiele.
Oben - das ist das normale Strassenniveau - ist der Eingang. Dieser ist mit einer mehr oder weniger blickdichten Tuere versehn. Fuer meine Fotos habe ich welche mit Glastuere gefunden. Die linken zwei Fotos zeigen eine Gruft mit geraeumiger Kapelle (das ist eher die Ausnahme!). Irgendwie muessen aber die Saerge der Verstorbenen nach unten. Dafuer gibt es entweder ein Loch im Boden, eine Treppe oder - wie hier - beides.
Die rechten beiden Fotos zeigen eine etwas engere Ausgabe. Oben stehen zwei (Schmuck)Saerge, in denen vermutlich die "Gruftgruender" ruhen. der Rest der Familie ruht buchstaeblich darunter. Wie auf dem ganz rechten Foto zu erkennen ist, wurden bereits vier weitere Familienmitglieder bestattet.  Und gegenueber (auf dem Foto nicht zu sehen) ist noch Platz ...



Natuerlich kennt man in Argentinien auch die Kremierung. Und wenn es mal wirklich zu eng wird und kein Platz mehr ist, kann man die verbliebenen Knochen seiner Vorfahren auch umbetten. Und einfach mal die halbe Verwandtschaft in die dunkle Ecke stellen - so wie auf diesem Foto!!


Auch das gehoert mit zum Gesamtbild: Zum Teil aufwendige Bauten, an denen der Zahn der Zeit nagt!
Zwischendrin finden sich gelegentlich aber auch Gruftanlagen, die nicht mehr gepflegt werden. Das kann daran liegen, dass eine Familie ausgestorben ist und keine Erben mehr da sind, die sich um die Gruft kuemmern. Oder die Hinterbliebenen sind schlicht verarmt und/oder koennen es sich nicht leisten, solche monumentalen Bauten zu pflegen. Da die Grundstuecke jedoch Familieneigentum sind (und nicht wie bei uns auf Zeit gekauft werden), wechselt der Besitzer nicht turnusmaessig; es verfallen die Gebaude und die Natur nimmt von ihnen Besitz. Es kommt selten vor, dass eine Gruft gaenzlich aufgegeben wird.
Detailreich verzierter Schmucksarg
Inzwischen ist der Platz auf dem Friedhof rar geworden, da er heute mitten in der Stadt liegt und daher nicht mehr erweitert werden kann. Umso begehrter sind deshalb frei werdende Plaetze.
Meinen Recherchen zufolge kann eine Gruft schon mal bis zu 150.000 US$ kosten. Es sei denn, man hat das unbeschreibliche Glueck, beim argentinischen ebay-Ableger eine fuer 28.500 US$ zu ersteigern – fuer Recoletaverhaeltnisse geradezu ein Schnaeppchen!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen