Samstag, 22. Oktober 2011

Was machst du eigentlich?

Diese Frage wird mir in letzter Zeit sehr oft gestellt - in einigen Mails und vor allem ueber die Kontakte in facebook. Zurecht, liebe Freunde und Unterstuetzer - habe ich doch den Blog in letzter Zeit etwas vernachlaessigt.
Ich moechte versuchen, die Dunkelheit in einigen Zeilen zu erhellen!

Ich bin nun, nach meinem dreiwoechigen Spanisch-Crashkurs in Asunción/Paraguay, seit etwa fuenf Wochen an meinem eigentlichen Einsatzort: Die Provinz Buenos Aires (die direkt an der Stadt Buenos Aires dranhaengt!). Geographisch gesehen ist das kein Unterschied. Lediglich eine groessere Strasse grenzt die Stadt von der Provinz ab. Und doch sind es zwei Welten.
Zum einen fuer die Porteños, die "Hafenarbeiter", wie die in der Stadt geborenen Einwohner heissen, zum andern aber fuer die Bevoelkerung, die weit weg von Capital Federal, wie das Zentrum hier genannt wird, wohnen.

Das Nest, in dem ich wohne, heisst umgangssprachlich schlicht 35 (treinta y cinco), weil es am 35sten Kilometer der Staatsstrasse Nr. 3 liegt. Es ist ein eher aermliches Viertel. Befestigt und/oder geteert sind hier nur die Hauptstrassen, alles andere ist pure Erde - so wie Gott sie einst schuf. Das bedeutet, dass es hier ueberall staubt, zumindest solange es trocken ist. Und wenn es regnet wird es ziemlich schlammig. Da ist dann aeusserste Vorsicht geboten, denn ehe man sich versieht, rutscht man aus, dreht eine unfreiwillige Pirouette und landet mitten im Schlamm.
Ob der Armut hier kann jeder alles irgendwie (ge)brauchen. Wenn nicht fuer sich selbst, dann entweder zum Tausch oder zum Versilbern. Daher wird geklaut, was nach Einbruch der Dunkelheit nicht festgeschraubt oder angekettet ist. Wir muessen hier das Gelaende jeden Abend regelrecht verriegeln und verschiessen. Und das Licht einschalten. Licht ist offb. die beste Waffe gegen Einbrecher. Unser Grundstueck sieht nachts aus wie ein kleines Fussballstadion: hell erleuchtet bis ins letzte Eck. Ausserdem haben wir Wachpersonal: zwei Hunde (andere haben drei oder vier oder mehr - je nach Groesse des Grundstuecks), mit denen ich mich bestens verstehe.

Ich wohne, arbeite und lebe mit auf der Refugio San Eugenio. Das ist eine Einrichtung der Oblati Mariae Immaculatae (OMI). Der Chef hier ist P. Sergio. Im Haushalt leben neben uns zweien noch zwei Seminaristen mit und im Nachbarhaus noch zwei Jugendliche.
Die OMI haben sich - wie die Salesianer Don Boscos (!) - der Jugendarbeit verschrieben. Wir sind hier im Viertel die einzigen, die ein bisschen Jugendarbeit machen. V. a. der Fussballplatz erfreut sich grosser Beliebtheit. Bei uns geht hauptsaechlich am Wochenende die Post ab. Hoehepunkt ist natuerlich der Sonntag. 40 Jugendliche bzw. junge Erwachsene (12 - 20 J.), zu besonderen Anlaessen auch mehr, besuchen uns.
Es gibt ein breites Angebot: Malkurs, Schlagzeugunterricht, ... und Fussball. Gegen 17 h enden alle Kurse und Aktivitaeten und es gibt etwas Suesses (z. B. Kuchen oder Kekse) und Kakao oder Jugo (Saftschorle).
Ganz links der Koch, ganz rechts Regina (ehem. MaZ) und einige Jugendl.
Wer vormittags schon kommt, bekommt natuerlich auch ein Mittagessen.
Oft besuchen uns/mich die Kleineren auch unter der Woche. Mal haben sie Langeweile und wir spielen etwas, mal haben sie Hunger und wir essen etwas.
Ziel der Refugio (span., Zuflucht) ist, den Kindern eine Anlaufstelle zu bieten. Hier finden sie immer eine offene Tuer und einen Ansprechpartner. Die meisten kommen schlicht aus Langeweile, andere wollen hier in Ruhe lernen (was zu Hause ggf. nicht moeglich ist) oder haben ein Problem und wir versuchen zu helfen (ein neuer/warmer Pullover oder oder oder ...). Fuer viele ist P. Sergio so etwas wie ein (zweiter) Vater. Eines seiner Hauptanliegen lautet: "Solange die Kinder hier sind, sind sie nicht auf der Strasse!"
Strasse ist in diesem Fall ein Sammelbegriff fuer Gewalt, Armut, Drogen oder Kriminalitaet in allen Facetten.

Meine Aufgabe ist es, zunaechst einfach mal da zu sein. Wenn Kinder in die Refugio kommen, beschaeftige ich mich mit ihnen. Manchmal haben sie selbst Spielsachen dabei und wir spielen gemeinsam. Oder sie sind eine kleine Gruppe, haben aber keinen Fuss- oder Basketball, dann bekommen sie von mir einen - logo!

Nach erfolgreichem Spiel ...
Gelegentlich muss ich beim Fussball ins Tor, denn wenn drei gegen drei spielen kann logischerweise keiner ins Tor gehen. Sonst waere eine Mannschaft unkomplett. Also Rueckgriff auf Matthias...

Mittlerweile habe ich mir so ein "Kauderwelschspanisch" zugelegt, mit dem ich so halbwegs durchkomme. Ich kann schon allein Busfahren und dabei dem Busfahrer sagen, wo ich hin will. Von perfektem (lateinamerikanischen!!) Spanisch bin ich aber noch weiter entfernt als der TSV 1860 von der Ersten Liga ... Aber meine Umgebung nimmt viel Ruecksicht auf mich und spricht langsam und deutlich. Selbst die Kinder nehmen Ruecksicht auf "den Deutschen", der ´s halt noch nicht so gut kann.
Tja - muehsam ernaehrt sich das Eichhoernchen ...