Sonntag, 4. September 2011

El Colectivo oder: Busfahren paraguayanisch

Wie in meinem ersten Bericht schon kurz erwaehnt, muss ich auf das Thema Busfahren eigens eingehen. Es wuerde sonst jeden Blog-Eintrag sprengen. Hier nun meine bescheidenen Eindruecke!

Um in meine Sprachschule zu kommen, muss ich taeglich etwa 45 Min. mit dem Bus fahren und dann nochmal 8 oder 10 Min. zu Fuss um zwei Hausecken. Heim natuerlich das gleiche, nur in umgekehrter Reihenfolge.

Das Busfahren hier ist etwas ganz besonderes und mit unserem ausgefeilten Linien- und Abfahrtsplansystem in Deutschland kaum zu vergleichen.
Die Busse hier heissen schlicht „(El) Colectivo“ und bedeutet Sammelbus oder woertlich „(der) Sammler“. Und genau so funktioniert es auch.
Busplan gibt es eigentlich keinen, doch die Einheimischen wissen in der Regel genau, welcher Bus wo faehrt. Die Abfahrtszeiten (geschrieben gibt es sie nicht) sind Erfahrungswerte. Mein Bus an meiner Ecke z. B. faehrt taeglich kurz vor sieben vorbei. Mal kommt er um fuenfvor, mal um zehnvor. Einmal kommt er erst nach sieben und neulich kam er gar nicht. Es kann auch sein, dass er kommt und schon so voll ist, dass der letzte Gast eher wie ein Trittbrettfahrer aussen dranhaengt. Dann wartet man halt auf den naechsten. Der kommt eine halbe Stunde spaeter. Ungefaehr.

Die Busse selbst sind eine Schau. Was hier tagtaeglich von morgens bis abends im Einsatz ist, kennen wir Deutsche entweder aus dem Fahrzeugmuseum oder als Holz(model)bausatz fuer die Kinder. Alle moeglichen Modelle, zu 95 % Marke Mercedes, sind vertreten. Die Busse jeder Linie haben eine charakteristische Farbe. Meiner ist Linie 16 und ueberwiegend rot. Das heisse aber nicht, dass nicht noch andere Farben verwendet werden; eine ist halt dominant. Meine Linie 16 ist so zu sagen rot-bunt.
Der Zustand der Busse ist am Besten mit „funktional“ zu beschreiben. Ein Sitz (Modell „Gartenstuhl“ der 70er Jahre) fuer den Fahrer, Plastikhartschalensitze fuer die Gaeste (neuere haben auch Kunstledersitze!), unterm Dach links und rechts ein bis zwei Haltestangen fuer diejenigen, die stehen muessen. Der Boden ist meist aus pflegeleichtem Metall, die ganz alten Modelle haben sogar Vollholzboeden.
Blick ins Innere.
Am Colectivo selbst muss nicht viel funktionieren: Lenkung, Hupe, Gas und Bremse, Druckluftgenerator fuer die Hintertuer. Alles andere waere Luxus. Ist ein Fenster oder dessen Halterung kaputt, wird es kurzerhand zu- bzw. angeschweisst – Problem erledigt.

Der Preis betraegt einheitlich 2300 Guaranies, das sind etwas ueber 40 Cent.
Haltestellen gibt es fast keine. Man(n) braucht sie auch nicht. Da die Fahrstrecken ohnehin bekannt sind, stellt man sich einfach an den entsprechenden Strassenrand. Kommt der Bus, hebt man die Hand und winkt so den Colectivo herbei. Der haelt dann, man steigt ein, bezahlt und fertig.
Tageskarten oder aehnliches gibt es nicht. Immer wenn man in einen Colectivo einsteigt, bezahlt man. Dafuer kann man mitfahren so lange man moechte. Auch Rundfahrten bzw. Schleifen.
Hier ein "neueres" Modell.
Will man schliesslich doch aussteigen, gibt man entweder vorne am Ausstieg dem Busfahrer Bescheid oder klingelt (hinten). Dazu gibt es entweder einen Knopf ueber der Hintertuere oder eine Schnur, die einmal durch den Bus zum Fahrer fuehrt. Dort ist dann irgendwo die Klingel. Der Busfahrer haelt dann bei der naechstbesten Moeglichkeit. Das heisst schlichtweg, er legt nahezu eine Vollbremsung hin und, waehrend der Busfahrer den Fuss von der Bremse aufs Gaspedal hebt, springt man einfach raus. Dabei versucht man instinktiv, auf den Beinen zu landen. Nur bei Opis und Schickimickitanten bleibt er stehen, bis selbige mit beiden Beinen ausgestiegen sind.
Die Hintertuer. Einfach, massiv, funktional.
Als Fahrgaeste gesellen sich nahezu alle Gesellschaftsschichten zusammen: Da sind die Schueler aus den einfachen und gehobenen Schulen, die Studenten, die Hausfrauen, die gerade vom Einkauf kommen, die Angestellten, die ins Buero muessen, die Handwerker auf dem Weg zur Werkstatt oder zur Baustelle. Von der Schuluniform ueber Nadelstreifenanzug und Schickimickikostuemchen bis zu Schuerze und Latzhose – alles faehrt Colectivo.

Die Busfahrer werden offensichtlich nach gefahrenen Runden bezahlt. So versuchen sie logischerweise, moeglichst viele Runden zu schaffen. Dementsprechend ist auch der Fahrstil: Eine staendige Abfolge von Beschleunigung und Bremsen. Staendig ist man damit beschaeftigt, den Koerper im Gleichgewicht zu halten. Zimperlich darf hier keiner sein! Viele Strassen hier in Asuncion haben zur Verkehrsberuhigung stattliche Bodenwellen. Da muss der Fahrer erst mal scharf bremsen, um dann sofort wieder Gas zu geben. Sitzt man auf der letzten Bank, kann es (je nach Busmodel) schon mal passieren, dass man regelrecht ausgehoben wird. Es ist wie eine Fahrt in einer alten Achterbahn (fuer Bayern: wie im „Hupferl“). Nur ohne Ueberschlag. Und das taeglich zwei Mal. Fuer 40 Cent.

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